ARCHIV - 13.02.2024, Zypern, Kofinou: Ein kleines Flüchtlingskind steht auf einem Tretroller im Aufnahme- und Unterbringungszentrum für Asylbewerber in der Gemeinde Kofinou (Kofinou Reception and Accommodation Centre for Applicants for International Protection) vor Wohncontainern. Das Zentrum verfügt über 450 Betten zu Unterbringung von Flüchtlingen verschiedener Nationalitäten. (zu dpa: «Mehr als 100 Migranten auf Zypern binnen zwölf Stunden angekommen») Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Viele Menschen hoffen auf Zugang nach Europa - wie hier dieses Flüchtlingskind einem Lager in Zypern. (Archivbild)

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EU-Asylreform: Im Schweinsgalopp zur harten Grenze

Die EU-Innenminister wollen die Asylreform nun so schnell es geht umsetzen: Den Politikern sitzt die Angst vor der Europawahl im Nacken. Die katholische Kirche warnt vor drastischen Folgen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Schnell soll es nun gehen mit der Umsetzung der EU-Asylreform. Die wurde erst vor drei Wochen vom EU-Parlament beschlossen. Eigentlich hätte die EU-Kommission nun Zeit, einen Umsetzungsplan aufzustellen, und den Staaten blieben zwei Jahre, um die Reform tatsächlich umzusetzen. Aber Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte schon am Montag an: "Für Deutschland kann ich ganz klar sagen: Wir möchten die notwendigen Anpassungen sehr viel schneller vornehmen."

Das geht scheinbar vielen so, beim Treffen der EU-Innenminister im belgischen Gent. Im Juni sind Europawahlen. Und weil Umfragen einen Rechtsruck vorhersagen, hofft man, dass die Maßnahmen den befürchteten Ruck etwas abfedern.

Die Hauptmaßnahmen der Asylreform

Den Kern der umstrittenen Reform bilden mehrere Verordnungen und die Richtlinie zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS). Sie sehen unter anderem vor, dass Asylsuchende direkt an der Grenze ein sogenanntes Screening, eine Sicherheitsprüfung, durchlaufen. Dafür sollen sie in Zentren an der Grenze festgehalten werden. Wer geringe Bleibechance hat, soll schneller und direkt von den EU-Außengrenzen abgeschoben werden.

Dahinter stehen die sogenannten Grenzverfahren. Sie sollen Italien und Griechenland entlasten, dort kommen die meisten Menschen an. Geplant ist auch ein Solidaritätsmechanismus zur Verteilung von Menschen mit Anspruch auf Schutz. Wollen Staaten keine Flüchtlinge aufnehmen, können sie finanzielle Hilfe leisten.

Zypern: 66 Prozent mehr Abschiebungen

Die Verteilung und mögliche Kompensationen waren große Streitpunkte zwischen den Mitgliedsstaaten, die viele Jahre als kaum überwindbar galten. Darauf weist EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Ende der Innenministerkonferenz hin: Vor fünf Jahren habe man sich auf gar nichts einigen können. "Eine total blockierte politische Lage."

Johansson findet die Einigung auf diese große Reform daher "beeindruckend". Die Innenminister seien voller Tatendrang, viele Staaten hätten schon einzelne Maßnahmen umgesetzt, man habe Praxisbeispiele ausgetauscht. So stellte der zyprische Innenminister die rigorose Abschiebepolitik seines Landes vor. Der Inselstaat gibt an, 66 Prozent mehr Migranten abgeschoben zu haben als im Vorjahr.

UN-Behörde fordert sichere Einwanderung

Wie das bei Amy Pope ankam, wird erst hinterher deutlich. Sie ist als Leiterin der UN-Behörde Internationale Organisation für Migration (IOM) beim Treffen der EU-Innenminister dabei. Pope kritisiert den scharfen Ton in der EU-Asylpolitik.

Die Maßnahmen allein würden weder irreguläre Migranten abschrecken noch die Nachfrage nach Schleppern verringern, sagte Pope. Als Ausgleich seien sichere und reguläre Einwanderungswege nötig. Aber das ist nicht der Fokus des Maßnahmenpakets der EU.

Forscher: Mehr Migrationsabkommen vor der Europawahl

Aus Sicht von Migrationsforschern wird die Asylreform bestehende Probleme kaum lösen. Migrationsforscher Gerald Knaus mahnte bereits Ende vergangenen Jahres, dass Deutschland und andere Länder strategische Migrationsabkommen abschließen sollten. Und das noch vor den Europawahlen. Die EU hat im März eines mit Mauretanien abgeschlossen.

Und die Bundesregierung bemüht sich auch im Alleingang. Sie hat einen Sonderbevollmächtigten für die Abkommen eingesetzt und zuletzt eines mit Marokko abgeschlossen: Marokko nimmt irreguläre Migranten zurück, dafür wird die Migration von Arbeitskräften ausgeweitet. Aber mehr als eine Handvoll dieser Abkommen ist bisher nicht zustande gekommen, zu komplex sind offenbar die Verhandlungen.

Erzbischof: Kinder sollten nie Gefangenschaft erdulden müssen

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße erklärte beim Flüchtlingsgipfel der katholischen Kirche in Köln: Wenn der Kompromiss in Kraft trete, sei zu befürchten, "dass die humanitären Spielräume dabei enger werden und nicht weiter." Heße kritisiert vor allem die Möglichkeit, ankommende Familien und auch Kinder, in Lagern an den EU-Außengrenzen festzuhalten.

Diese Flüchtlingscamps dürften von den EU-Staaten "nicht als dauerhafte Lösung" akzeptiert werden, mahnt auch Fabio Baggio von der vatikanischen Entwicklungsbehörde. Gerade Kinder sollten nie Formen der Gefangenschaft erdulden müssen, wie sie in den Lagern oftmals gegeben seien.

EU-Innenkommissarin: Wir reparieren unser "kaputtes Migrationssystem"

Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson kündigt an, dass die EU-Kommission, den EU-Staaten nationale Teams zur Seite stellen werde, um sie bei der Asylreform zu unterstützen. Im Juni will die Kommission einen Stufenplan für die Implementierung der Reform vorlegen, drei Monate früher als im Zeitplan vorgesehen, betont Johansson. Bis Januar 2025 müssen die EU-Staaten dann nationale Pläne zu Umsetzung vorlegen.

Johansson zeigte sich schon zu Beginn des Treffens zuversichtlich: Dank der Anstrengungen der Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments "reparieren wir jetzt unser kaputtes Migrationssystem". Allerdings wird das auch bei allen Eile-Beteuerungen dauern. Sichtbare Folgen dürfte es vor der Europawahl kaum geben.

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