Die beiden Präsidenten sitzen auf Korbstühlen
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Unterschiedliche Blickrichtung: Putin und Xi Jinping in Peking

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"Esel des Gastgebers": Russen hadern mit Putins Besuch in Peking

Trotz der Kreml-Propaganda sind die Reaktionen auf das Spitzentreffen zwischen dem russischen und dem chinesischen Präsidenten in Russland spöttisch bis ärgerlich. Vor allem die Nationalisten sind aufgebracht: "China ist unser geopolitischer Feind."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Über Spott kann der russische Präsident Wladimir Putin anlässlich seines Besuchs in Peking nicht klagen. Grund dafür: Er unterzeichnete ein Abkommen, wonach der Export von Topinambur, einem in Asien beliebten Wurzelgemüse, nach China angekurbelt werden soll. Auch "Rindfleisch-Nebenprodukte" will Moskau verstärkt in den Fernen Osten liefern. Eine Welle von satirischen Fotomontagen in den sozialen Netzwerken war die Folge, der Vorsitzende des russischen Topinambur-Verbandes, Nikolai Kochnew, verwies darauf, dass die Pflanze nach der Ernte viel zu empfindlich sei, um längere Lieferwege zu überstehen [fedpress.ru, externer Link]: "Es ist bis China sogar von Sibirien aus zu weit. Eine Woche auf der Straße hält sie nicht aus. Sie wird verrotten." Der Fernhandel sei lediglich mit dem herzstärkenden Trockenpulver der Knolle denkbar.

"Sie zeigten uns, wer der Boss ist"

Die russische Korrespondentin Tatjana Rybakowa schrieb unter der Schlagzeile "Rinderknorpel und Topinambur" ironisch: "Die Ergebnisse von Putin und der ihn begleitenden beeindruckend großen Delegation in Peking als zweideutig einzuordnen, ist die raffinierteste Delikatesse, die man sich leisten kann." Zahlreiche Polit-Blogger amüsierten sich über das groteske Abkommen und sprachen von einer "kalten Dusche" für Moskau: "Sie zeigten uns, wer der Boss ist", hieß es über China.

Exil-Politikwissenschaftler Anatoli Nesmijan hält sich mit Spott nicht zurück: "Heutzutage sind Topinambur und Knochenabfall das strategische Exportprodukt [Russlands]. Selbst Gas nehmen die Chinesen mit wenig Begeisterung ab und zeigen nicht das geringste Interesse an neuen Pipelinesystemen. Im Gegenteil, der russische Präsident spricht mit Begeisterung über den beispiellosen Durchbruch des chinesischen (nicht russischen!) Maschinenbaus und bringt seine Bereitschaft zum Ausdruck, den russischen Markt chinesischen Herstellern auszuliefern. Die übliche Kolonialgeschichte, nichts Neues."

"Launische Wurzelpflanze"

Der russische Politologe Georgi Bovt scherzte ähnlich bitter, Russlands "High Tech" komme jetzt offenbar bei einer "launischen Wurzelpflanze" zum Einsatz. Er erinnerte daran, dass Moskau China einst mit den "neuesten Waffen" versorgt habe, um die gravierende Veränderung in den Beziehungen zu verdeutlichen: "Jeder Besuch in China ist immer auch ein Ritual, denn dort legt man großen Wert auf äußere Formen."

"Auf jeden Fall sind die aktuellen Verhandlungen mit der chinesischen Seite sehr schwierig, da China ausschließlich an seine nationalen Interessen denkt und diese aktiv fördert und daher im Großen und Ganzen unser geopolitischer Gegner und kein Verbündeter ist. Sie sprechen jetzt mit uns aus einer Position der Stärke heraus, das muss man klar verstehen und darf keine Luftschlösser bauen", so einer der Fachleute.

"Wird es funktionieren? Mal sehen"

Besonders aufgebracht war der Rechtsnationalist Igor Skurlatow, der auf Telegram schrieb [externer Link]: "Mit viel kann man nicht rechnen. China denkt ausschließlich an seine nationalen Interessen, die auch für uns ein Vorbild sein sollten. China ist unser geopolitischer Feind. Wir müssen uns daran erinnern, aber nicht, um in Panik zu verfallen, sondern um unsere eigenen Interessen entschieden zu verteidigen. Wird es funktionieren? Mal sehen." Besonders empört zeigten sich Skurlatow und seine Gesinnungsgenossen darüber, dass China nach wie vor nicht ausschließt, an der für den 15. und 16. Juni geplanten großen Konferenz in der Schweiz zur Beendigung von Putins Angriffskrieg teilzunehmen. Dort könne es nur um einen "schändlichen Waffenstillstand" gehen, ereifert sich der russische Nationalist.

"Es ist absolut keine Tatsache, dass die Zusammenarbeit mit China auf lange Sicht für Russland von Vorteil ist", urteilte ein weiterer Blogger, der sich darüber amüsierte, dass Putin Russen und Chinesen als "Brüder" bezeichnete, was nur "leeres Gerede" sei. Der Kommentator warnte davor, den russischen Automarkt ganz und gar den chinesischen Herstellern zu überlassen: "Später könnte sich herausstellen, dass wir diesem Partner zu sehr vertraut haben und all unsere Eier in einen Korb gelegt haben. Die Versuchung, sie samt und sonders auszublasen, könnte zu groß werden."

"Putin hängt am Haken von Peking"

Der auch in westlichen Medien schreibende Politologe Wladislaw Inosemtsew bilanzierte nüchtern, Putin hänge bereits am "Haken" von Peking [Telegram; externer Link]. Dort werde jetzt nur noch überlegt, wie lange man ihn zappeln lasse. Für übereilte Entscheidungen sei China nicht bekannt, es habe Zeit: "China ist heute offensichtlich der Anführer der 'antiwestlichen' Koalition, in der Russland der am meisten verzweifelte, aber nicht der stärkste Teilnehmer ist. Das hat doppelte Konsequenzen: Einerseits ist Vorsitzender Xi der Hauptnutznießer des Konflikts von Russland mit dem Westen und eine Person, die sich nicht sonderlich für die Versäumnisse des Kremlführers interessiert; Andererseits erfordern Chinas gegenwärtige wirtschaftliche Probleme die Wiederherstellung der Beziehungen zu Amerika und Europa, deren Aussichten noch sehr vage sind."

Sogar ein angeblicher Ausspruch des chinesischen Revolutionsführers Mao Zedong (1893 - 1976) wird zitiert, um Pekings Haltung zu illustrieren: "Ein weiser Affe sitzt auf dem Berg und schaut zu, wie zwei Tiger aufeinander losgehen." Leider werde es in der gegenwärtigen Situation nicht von Moskau (zumindest nicht allein) abhängen, welche Optionen China wählen werde, um auf den Druck des Westens zu reagieren, ob es die Zusammenarbeit mit Russland trotz wirtschaftlicher Risiken aufrechterhalte oder auf vorsichtige Distanz gehe: "Das macht Russland ziemlich verwundbar, da es zur chinesischen Unterstützung noch keine Alternative gibt. Es ist absolut unklar, was Moskau in dieser Situation tun soll."

"Chinesen wollen Geld verdienen, aber nicht investieren"

Der sehr eifrige und viel zitierte Blogger Dmitri Sewrjukow analysiert ziemlich düster [Telegram; externer Link]: "In jenen alten Zeiten, als westliche Unternehmen, die keine Angst vor Geopolitik hatten, noch bereit waren, in Russland tätig zu sein, war es viel einfacher, chinesische Industrielle mit gemeinsamen Projekten in die Russische Föderation zu locken, da das chinesische Geschäft durch die starke internationale Konkurrenz gefördert wurde. Jetzt hat sich die Welt verändert, und mit ihr haben sich auch die chinesischen Partner verändert, die es vorziehen, auf dem russischen Markt Geld zu verdienen, aber Investitionen in Russland nach Möglichkeit zu vermeiden. Dieser Trend kommt unseren Interessen überhaupt nicht zugute und muss daher umgekehrt werden."

Der kremltreue Korrespondent des liberalen Wirtschaftsblatts "Kommersant", Dmitri Drise, "rettete" sich mit der Formulierung, die Tonlage zwischen Moskau und Peking sei "neutral", vergaß aber nicht anzufügen, dass die "Geschichte veränderlich" sei, wie die Zeit seit Stalin bewiesen habe.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow setzte unfreiwillig einen ganz besonderen Akzent. Er murmelte auf die Frage eines russischen Journalisten: "Der Gast ist, wie man im Osten sagt, immer der Esel des Gastgebers, daher hängen alle Programme natürlich von den freundlichen Vorschlägen ab, die der chinesische Präsident und sein Team unserem Präsidenten gemacht haben."

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